Herausforderungen bei der Diagnose diabetischer Neuropathiesymptome
Die Symptome diabetischer Polyneuropathie sind sehr vielfältig. Gleichzeitig sind die meisten Symptome nicht spezifisch für diabetische Neuropathie, sondern können auch andere Ursachen haben. Erschwerend hinzu kommt, dass Diabetes mit vielen Folgekrankheiten assoziiert ist: wer Diabetes hat, hat ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten als Leute ohne Diabetes. Diese Krankheiten wiederum rufen oft Symptome hervor, die Symptomen diabetischer Neuropathie stark ähneln können.
Bevor Symptome auf diabetische Polyneuropathie zurückgeführt werden, sollten andere Ursachen ausgeschlossen werden, um die Beschwerden effektiv behandeln zu können.
Die größte Herausforderung bei der Therapie von Patienten mit diabetischer Polyneuropathie ist also, die Ursache für die Symptome zu finden.
Erkrankungen, deren Symptome diabetischer Neuropathie ähneln
Folgende Krankheiten treten häufig zusammen mit Diabetes auf und werden aufgrund der Symptome leicht mit diabetischer Neuropathie verwechselt:[1]
Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie
Bei der chronisch inflammatorische demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) werden die Nerven durch Entzündungsreaktionen geschädigt. Die Ursache ist nicht im Detail verstanden, aber man vermutet, dass die Krankheit einen autoimmunen Ursprung hat: das Immunsystem greift also die Nervenzellen an.[2]
Diabetespatienten leiden zwar häufig an CIDP, die Erkrankung bleibt jedoch häufig unerkannt. Warum? Da Diabetes häufig Neuropathie versursacht, geht man davon aus, dass Diabetes die Ursache ist.[3]
CIDP wird normalerweise mit Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken, sogenannten Kortikoiden behandelt. Hat ein Patient Diabetes, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er nicht entsprechend therapiert wird.[4]
Vitamin B12-Mangel
Ein häufig verschriebenes Diabetesmedikament, Metformin, hemmt die Aufnahme von Vitamin B12 und kann somit einen Mangel an dem Vitamin verursachen.[5] Vitamin B12 ist für die Funktion von Nervenzellen essentiell, und ein Mangel führt langfristig zu irreversiblen Nervenschäden.
Zu Neuropathie kommt es erst nach mehrjähriger Einnahme des Medikaments, und gleichzeitig entwickeln Diabetespatienten oft erst viele Jahre nach der Diabetesdiagnose Neuropathiesymptome.
Aus diesem Grund wird eine durch Vitamin B12-Mangel verursachte Neuropathie bei Diabetikern leicht übersehen. Dies hat fatale Folgen, denn solange der Mangel nicht behoben wird, schreitet die Neuropathie weiter voran.
Schaufensterkrankheit
Die sogenannte Schaufensterkrankheit wird durch eine Blockade der Arterien verursacht. Typischerweise sind Arterien, die die Beine mit Blut versorgen, betroffen. Dies führt zu krampfartigen Schmerzen, meist in den Waden, aber auch in den Oberschenkeln oder im Gesäß. Die Symptome treten meist beim Laufen oder bei sportlicher Betätigung auf und verschwinden, sobald man sich ausruht.[6]
Diese Erkrankung ist zwar mit Diabetes assoziiert, die Symptome haben jedoch keine direkte neuropathische Ursache.
Werden diese Symptome fälschlicherweise auf diabetische Polyneuropathie zurückgeführt, werden nur die Schmerzen behandelt, ohne die Ursache zu beheben.
Morton Neuralgie
Bei der Morton Neuralgie werden Nerven im Bereich des Mittelfußknochens gereizt oder eingeengt. Dadurch kommt es zum Anschwellen der Nerven, was vor allem bei längerem Gehen Schmerzen verursacht. Die Morton Neuralgie kann außerdem Kribbeln und Taubheitsgefühle hervorrufen, welches typische Symptome diabetischer Neuropathie sind.[7]
Arthrose
Arthrose ist eine degenerative Gelenkerkrankung, die mit dem Abbau von Gelenkknorpel beginnt. Schmerzen treten meist bei sportlicher Aktivität auf und nehmen beim Ausruhen ab. Außerdem ist die Erkrankung durch morgendliche Steifheit der Gelenke, und eine generelle verminderte Beweglichkeit der Gelenke gekennzeichnet.[8]
Arthrose kann die Folge von Diabetes sein. Fortgeschrittenes Alter und Übergewicht sind weitere Risikofaktoren, die zudem mit Diabetes assoziiert sind.[9]
Radikulopathie
Eine Radikulopathie ist eine Entzündung der Nervenwurzeln im Rückenmark. Sie kann zwar Diabetes als Auslöser haben, aber es gibt noch viele weitere Ursachen. Meist wird eine Radikulopathie durch mechanischen Druck auf die Nervenwurzel ausgelöst, wie z. B. bei einem Bandscheibenvorfall. Entzündungsreaktionen als Folge bakterieller oder viraler Infektionen sind weitere Ursachen.
Eine Radikulopathie ist meist sehr schmerzhaft, ist aber noch durch weitere Symptome gekennzeichnet. So treten auch Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühle in der Haut und Lähmungserscheinungen auf.[10]
Charcot-Fuß
Der Charcot-Fuß ist eine Sonderform des diabetischen Fußsyndroms. Eine durch diabetische Neuropathie resultierende, verminderte Gefühlswahrnehmung erhöht das Verletzungsrisiko am Fuß, bishin zu Knochenbrüchen. Eine verminderte Knochendichte, die häufig bei Patienten mit Charcot-Fuß beobachtet wird, stellt einen zusätzlichen Risikofaktor dar, da dadurch die Knochen leichter brechen. Das große Problem dabei ist, dass die Brüche wegen vermindertem Schmerzempfinden nicht als schmerzhaft wahrgenommen werden. Das erschwert zum einen die Diagnose und führt außerdem zu weiteren Schäden am Fuß.
Langfristig kommt es zu einer Deformierung des Fußes und zu stark eingeschränkter Belastbarkeit. Die Deformierung in Kombination mit Gefühllosigkeit erhöht auch das Risiko für kleine Verletzungen aus denen schnell eine ernsthafte Entzündung wird. Wird diese nicht entsprechend behandelt, können die Komplikationen eine Amputation notwendig machen.[11]
Obwohl der Charcot-Fuß eine direkte Folge diabetischer Polyneuropathie ist, wird er oftmals nicht als solcher diagnostiziert. Er wird meist mit einer Knochenmarksentzündung verwechselt, die ähnliche Symptome hervorruft. Ergebnisse verschiedener Studien geben an, dass der Charcot-Fuß bei 0.08 – 7.5% der Diabetespatienten diagnostiziert wird.[12] Die Zahl der undiagnostizierten Fälle ist höchstwahrscheinlich weitaus höher.
Plantarfasziitis
Die Plantarfasziitis ist eine Entzündung der Sehnenplatte unter dem Fuß. Sie äußert sich durch Schmerzen in der Fußsohle und durch stechende, brennende Schmerzen in der Ferse, die vor allem beim Laufen auftreten und bei längerer Aktivität schlimmer werden.[13]
Eine Plantarfasziitis entsteht durch eine fehlerhafte Belastung oder Überbelastung. Diabetische Neuropathie kann die Entstehung der Erkrankung begünstigen, wahrscheinlich durch eine unvorteilhafte Belastung der Füße.
Tarsaltunnelsyndrom
Das Tarsaltunnelsyndrom kommt durch eine Einengung des Schienbeinnervs zustande. Der Nerv verläuft entlang der Kniekehle in die Wade und dann weiter zum Innenknöchel. Im Innenknöchel läuft der Nerv durch den sogenannten Tarsaltunnel, wo er eingeengt wird.
Typische Symptome des Tarsaltunnelsyndroms sind Brennen, Taubheitsgefühle und Kribbeln in den Zehen und der Fußsohle, manchmal auch bis hin zur Wade.[14]
Neuropathische Schmerzen sind auf unterschiedliche Nervenschäden zurückzuführen
Selbst wenn die Symptome auf diabetische Polyneuropathie zurückzuführen sind, bleibt die Frage, welche Art von Nervenschäden vorliegen. Man unterscheidet vor allem zwischen Schmerzen, die durch Schäden an sogenannten Typ C oder A-Delta Nervenfasern verursacht werden, da diese bestimmen, auf welche Art Therapie der Patient gut anspricht.
Typ C Nervenfasern
Nervenfasern vom Typ C sind kleine Nervenfasern, die nicht von einer Myelinscheide umgeben sind. Die Schmerzweiterleitung erfolgt bei Typ C Nervenfasern mit Hilfe von Substanz P.[15] Neuropathische Schmerzen, die auf Schäden an Typ C Nervenfasern zurückzuführen sind, sprechen daher gut auf Wirkstoffe an, die eine Freisetzung von Substanz P stimulieren.[16] Dazu gehört zum Beispiel Capsaicin, die Substanz die Chilischoten ihre Schärfe verleiht.
Wenn Capsaicin an Schmerz- und Wärmerezeptoren bindet, setzen Typ C Nervenfasern Substanz P frei. Bei konstanter Stimulation dieser Rezeptoren lässt die Freisetzung von Substanz P nach, wodurch die Schmerzempfindlichkeit reduziert wird.[17]
Polyneuropathische Schmerzen, die durch Schäden an Typ C Nervenfasern hervorgerufen werden, sprechen außerdem gut auf den Wirkstoff Clonidin an. Clonidin wird hauptsächlich als Blutdrucksenkendes Mittel eingesetzt, hat aber auch eine schmerzlindernde Wirkung.
Typ A-Delta Nervenfasern
Bei Typ A-Delta Nervenfasern erfolgt die Schmerzweiterleitung durch Natriumionen. Folglich sprechen sie gut auf Wirkstoffe an, die auf Natriumionen-Kanäle wirken. Dazu gehören Antiepileptika und auch trizyklische Antidepressiva.[18]
Zwischen Typ C und Typ A-Delta neuropathischen Schmerzen unterscheiden
Typ C and A-Delta Nervenfasern gehören beide zu den kleinen Nervenfasern, deren Funktion sich nicht mit elektrophysiologischen Methoden nachweisen lässt. Eine Messung der Signalweiterleitungsgeschwindigkeit entlang der Nervenfasern ist ein Standardmethode, um Nervenschäden nachzuweisen. Sie ist bei kleinen Nervenfasern leider nicht aufschlussreich.
Es gibt zwar diagnostische Methoden, mit denen sich Schäden an kleinen Nervenfasern detektieren lassen, aber auch sie können nicht zwischen Typ C und A-Delta Fasern unterscheiden. Nervenschäden an den beiden Fasertypen rufen zwar unterschiedliche Symptome hervor, was aber nicht immer eindeutig ist.[19]
Eine Neuropathie der Typ C Fasern geht mit brennenden, durchbohrenden Schmerzen und hoher Schmerzempfindlichkeit einher. Sind Typ A-Delta Fasern betroffen, werden die Schmerzen als tiefsitzend, dumpf und bohrend beschrieben.
Eine eindeutige Klassifizierung der Neuropathie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient auf die Therapie anspricht und reduziert das Ausprobieren verschiedener Medikamente. Die eindeutige Diagnose bleibt jedoch eine Herausforderung.