Ist diabetische Neuropathie heilbar?

Neuropathie ist eine häufige Folgeerkrankung von Diabetes – schätzungsweise 60 -70% der Diabetiker leiden an Neuropathie.[1] Die Behandlung von Diabetes hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht und es häufen sich sogar Meldungen, dass Diabetes Typ 2 in bestimmten Fällen und durch konsequente Behandlung komplett heilbar sei.[2],[3]

Nun stellen Sie sich vielleicht die berechtigte Frage: Wenn Diabetes Typ 2 potentiell heilbar ist, gilt das auch für durch Diabetes ausgelöste Neuropathie?

Lassen sich also bereits entstandene Neuropathiesymptome wieder umkehren und heilen?

Grundsätzlich ist die Heilungsfähigkeit von Nerven sehr begrenzt, weswegen die Beseitigung der Ursache bereits entstandene Schäden nicht automatisch beseitigt. Eine Erholung in gewissem Maße ist zwar möglich. Bei über längere Zeit entstandenen Neuropathiesymptomen ist eine komplette Regeneration aber unwahrscheinlich.

Um die Frage, inwiefern Neuropathiesymptome heilbar sind, im Detail zu beantworten, müssen Sie wissen, wie diabetische Neuropathie behandelt wird. Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze:

  1. Die Behandlung neuropathischer Symptome: Es gibt einige Therapieansätze, mit denen sich die Symptome sehr gut kontrollieren und erträglich machen lassen, aber sie verhindern nicht das Fortschreiten der Krankheit. Mit der Zeit müssen daher die Medikamente zur Behandlung der Polyneuropathie immer weiter erhöht werden, während die Symptombelastung zunimmt. Eine Heilung ist auf diese Weise definitiv nicht möglich, man kann von einer laufenden Verschlimmerung ausgehen.
  2. Die Behandlung der Ursache, Diabetes: Um eine weitere Verschlimmerung der Symptome zu verhindern, sollte die Behandlung an der Ursache der Neuropathie ansetzen, also dem Diabetes. Der Diabetes und weitere Verschlimmerung der Neuropathie kann auf diese Weise gestoppt werden. Ob und wie stark bereits vorhandene Symptome dadurch allerdings zurückgehen, hängt von vielen Faktoren ab.

Effektive Behandlung neutralisiert die Ursachen von Diabetes

Erstes Ziel sollte sein, eine Verschlimmerung der Krankheit zu verhindern. Dazu müssen die Auslöser des Diabetes gefunden und beseitigt werden. Andernfalls werden die Nerven laufend weiter geschädigt.

Blutzucker unter Kontrolle bringen

Diabetes hängt zentral mit einem außer Kontrolle geratenen Blutzuckerstoffwechsel zusammen.

Ein zu hoher Blutzucker schadet auf Dauer den Nerven, was in der Entstehung diabetischer Neuropathie ein entscheidender Faktor ist.[4] Daher ist eine gute Blutzuckerkontrolle bei diabetischer Neuropathie besonders wichtig.

Blutzuckerkontrolle durch Medikamente

Klassischerweise werden dazu zum einen Medikamente eingesetzt, die den Zuckerstoffwechsel verbessern. Außerdem wird durch die Gabe von Insulin die Zuckeraufnahme der Zellen erhöht, wodurch der Blutzuckerspiegel sinkt.[5]

Dies ist der schulmedizinische Ansatz, mit dem das Voranschreiten von Diabetes und der Folgeschäden in Schach gehalten werden.

Jedoch verschlimmert sich die Krankheit bei meisten Patienten im Laufe der Jahre trotz Behandlung. Ein Großteil der Diabetiker, die Insulin bekommen, müssen die Dosis im Laufe der Jahre immer weiter erhöhen. Der erhöhte Insulinbedarf ist die Folge fortschreitender Insulinresistenz. Gleichzeitig steigt, obwohl der Blutzucker mit Insulin gut kontrolliert wird, das Risiko für Neuropathie.[6]

Der Grund warum selbst eine intensive Insulintherapie das Fortschreiten von Diabetes Typ 2 nicht aufhalten kann ist, dass es sich um eine reine Symptombehandlung handelt. Die Ursache bleibt hingegen unangetastet. Diabetes Typ 2 wird nicht durch zu wenig, sondern durch zu viel Insulin verursacht.

Eine jahrzentlange Fehlernährung mit einfachen Kohlenhydraten wie Weißmehl und Zucker führt zu einer ständigen Überflutung mit dem Hormon, die auf Dauer zu Insulinresistenz führt. Der Gipfel der Insulinresistenz ist Diabetes Typ 2. Die Gabe von Insulin verschlimmert diese Resistenz weiter, auch wenn das Symptom (ein hoher Blutzucker) unter Kontrolle gehalten wird.

Diabetesbehandlung durch eine Ernährungsumstellung

Die Aussage, dass Diabetes heilbar oder reversibel ist, bezieht sich daher eher auf alternative Behandlungsmethoden, die ergänzend zum schulmedizinischen Ansatz verfolgt werden können.

Lebensstil und Ernährung spielen in der Entstehung von Diabetes Typ 2 eine wichtige Rolle und sind nach der Diagnose genauso wichtig. Durch eine Ernährungsumstellung kann Insulinresistenz aufgehalten oder sogar verbessert werden. Eine Ernährungsweise, bei der die Kohlenhydrate stark reduziert werden, sogenanntes Low-Carb, ist besonders erfolgversprechend.[7],[8],[9] Die geringe Aufnahme an Kohlenhydraten hilft, den Blutzucker niedrig zu halten und den Bedarf an Insulin zu senken. Dadurch wird die Insulinresistenz rückgängig gemacht und Zellen reagieren nach und nach wieder besser auf Insulin. Im Gegensatz zu einer Insulintherapie setzt eine Ernährungsumstellung also an der Ursache an.

Durch Diabetes ausgelöste autonome Neuropathie vorbeugen

Autonome Neuropathie kann Blasen-, Verdauungs- und Herz-Kreislauf-Probleme verursachen.[10] Diese Form der Neuropathie tritt meist erst viele Jahre nach der Diabetesdiagnose auf, erste Schäden an den autonomen Nerven entstehen jedoch meist bereits innerhalb 1-2 Jahren.[11]

Auch hier gibt es wieder eine gute Nachricht: diese Schäden lassen sich durch medikamentöse Blutzuckerkontrolle und eine Ernährungsweise, die den Blutzucker niedrig hält, verhindern.

Ein hoher Blutzucker verursacht auch oxidativen Stress, der zur Entstehung von Neuropathie beiträgt. Zudem leiden Diabetiker häufig an Bluthochdruck, der ebenfalls Nervenschäden verursachen kann.

Aus diesem Grund kann die Verwendung von Antioxidantien (z. B. Alpha-Liponsäure) und blutdrucksenkenden Mitteln, wie z. B. ACE Inhibitoren das Risiko für autonome Neuropathie stark verringern.[12],[13]

Frühes Handeln ist entscheidend zur Behandlung und Heilung

Nervenschäden sind leider nur schwer rückgängig zu machen, das trifft auch auf diabetische Neuropathie zu.

Generell streiten sich Experten darüber, inwiefern Neuropathie heilbar ist, sowie wann und in welchem Umfang. Hauptgrund dafür ist, dass das Nervensystem eines der am schlechtesten verstandenen Körpersysteme ist. Es ist kompliziert zu erforschen und Symptome sind schwierig zu messen.

Grundsätzlich gibt es Experten, die sagen, die Symptome diabetischer Neuropathie lassen sich zu einem gewissen Grad umkehren. Wie weit und ob eine komplette Heilung möglich ist, hängt stark davon ab, wie frühzeitig und konsequent die Behandlung erfolgt.

Fakt ist, dass das Nervensystem sich zwar regenerieren kann, aber weniger gut, als viele andere Körpersysteme. Zudem variiert der Heilungserfolg stark zwischen Patienten und ist daher schwer vorherzusagen. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass je früher die Ursachen von Neuropathie behandelt werden, desto besser ist der Heilungserfolg, da die Regeneration von Nerven in erster Linie in einem begrenzten Zeitraum nach der Schädigung möglich ist. Es gilt also, Diabetes möglichst schnell unter Kontrolle zu bringen, um die Schädigungen der Nerven zu stoppen.

Wer frühzeitig handelt, wenn er erste Symptome feststellt, kann darauf hoffen, diese Symptome auch wieder loszuwerden. Wer dagegen bereits jahrelang unter Symptomen leidet, wird vielleicht nur das Fortschreiten der Symptome vermeiden, oder mit etwas Glück eine teilweise Rückbildung erreichen.

Aus diesem Grund ist es essentiell, nach der Diabetesdiagnose richtig zu handeln, um Neuropathie zu verhindern.

Die ersten Symptome diabetischer Neuropathie sind häufig Missempfindungen in den Händen und Füßen. Diese Missempfindungen treten meist kurz nach der Diabetesdiagnose auf oder können auch vor der Diagnose ein erster Hinweis auf Diabetes sein. Die gute Nachricht: diese ersten Neuropathiesymptome verschwinden schnell wieder, wenn der Blutzucker gut kontrolliert wird.[14] Sie sollten jedoch als Warnsignal angesehen werden, dass Diabetes Neuropathie auslösen kann, die in späteren Stadien nicht mehr so leicht rückgängig zu machen ist.

Fazit

Aus bisheriger schulmedizinischer Sicht ist diabetische Neuropathie ein fortschreitender Prozess, der sich nicht aufhalten lässt. Der Grund dafür ist die Annahme, dass die Ursache der Neuropathie, der Diabetes, unaufhaltsam voranschreitet.

Jedoch gibt es alternative Möglichkeiten, Diabetes über Ernährungsumstellungen in den Griff zu bekommen.

Während langfristige Nervenschäden in der Regel nicht heilbar sind, kann ein frühzeitiges Ergreifen helfen, Symptome zu einem gewissen Grad zurückzubilden.  


Quellen

[1] Chanogursky G, Lee H, Lopez N. Diabetic Neuropathy. Hanb Clin Neurol. 2014;120:773-85.

[2] Scholl J. Typ-2 Diabetes: Remission is possible! MMW – Fortschritte der Medizin. 2018;160(18):60-65.

[3] Reversing Type 2 Diabetes. Diabetes.co.uk. https://www.diabetes.co.uk/reversing-diabetes.html. Abgerufen am 12.01.2019.

[4] Sifuentes-Franco S, Pacheco-Moisés FP, Rodríguez-Carrizalez AD, Miranda-Díaz AG. The Role of Oxidative Stress, Mitochondrial Function, and Autophagy in Diabetic Neuropathy. J Diabetes Res. 2017;2017:1673081.

[5] Type 2 Diabetes. Mayo Clinic. https://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/type-2-diabetes/diagnosis-treatment/drc-20351199. 09.01.2019. Abgerufen am 12.01.2019.

[6] Duckworth W, Abraira C, Moritz T, Reda D, Emanuele N, Reaven PD, Zieve FJ, Marks J, Davis SN, Hayward R, Warren SR, Goldman S. Glucose Control and Vascular Complications in Veterans with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2009;360:129-139.

[7] Krebs JD, Bell D, Hall R, Parry-Strong A, Docherty PD, Clarke K, Chase JG. Improvements in glucose metabolism and insulin sensitivity with a low-carbohydrate diet in obese patients with type 2 diabetes. J Am Coll Nutr. 2013;32(1):11-7.

[8] Hallberg SJ, McKenzie AL, Williams PT, Bhanpuri NH, Peters AL, Campbell WW, Hazbun TL, Volk BM, McCarter JP, Phinney SD, Volek JS. Effectiveness and Safety in a Novel Care Model for the Management of Type 2 Diabetes at 1 Year: An Open-Label, Non-Randomized, Controlled Study. Diabetes Ther. 2018;9(2):583-612.

[9] Nielsen JV, Joensson EA. Low-carbohydrate diet in type 2 diabetes: stable improvement of bodyweight and glycemic control during 44 months follow-up. Nutr Metab (Lond). 2008;5:14.

[10] Vinik AI, Maser RE, Mitchell BD, Freeman R. Diabetic autonomic neuropathy. Diabetes Care. 2003;26(5):1553-79.

[11] Vinik A, Casellini C, Nevoret ML. Diabetic Neuropathies. [Updated 2018 Feb 5]. In: De Groot LJ, Chrousos G, Dungan K, et al., editors. Endotext [Internet]. South Dartmouth (MA): MDText.com, Inc.; 2000-. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK279175/

[12] Ziegler D, Gries FA. Alpha-lipoic acid in the treatment of diabetic peripheral and cardiac autonomic neuropathy. Diabetes. 1997;46(Suppl 2):S62-6.

[13] Athyros VG, Didangelos TP, Karamitsos DT, Papageorgiou AA, Boudoulas H, Kontopoulos AG. Long-term effect of converting enzyme inhibition on circadian sympathetic and parasympathetic modulation in patients with diabetic autonomic neuropathy. Acta Cardiol. 1998;53(4):201-9.

[14] Thomas PK. Classification, differential diagnosis, and staging of diabetic peripheral neuropathy. Diabetes. 1997;46(Suppl 2):S54-7.